EthikJournal 4. Jg. (2017) Ausgabe 1


"Strukturen ethischer Beratung in sozialprofessionellen Tätigkeitsfeldern"

Editorial


 

Andreas Lob-Hüdepohl


Soziale Arbeit ist schon immer normativ hoch aufgeladen. Gerade ihr modernes Verständnis als Menschenrechtsprofession gilt vielen als Sinnbild für ein berufliches wie auch ehrenamtliches Engagement, an dessen Akteur*innen hohe moralische Anforderungen gestellt werden: Sie haben die menschenrechtlichen Ansprüche ihrer Adressat*innen nicht nur zu respektieren, sondern in vieler Hinsicht gegen Übergriffe Dritter zu schützen und überhaupt erst im Handgemenge gesellschaftlicher Alltagsbehauptungen gegen Stärkere zur Geltung bzw. zur Verwirklichung zu bringen.

Die hohe moralische Emphase, mit der sich Soziale Arbeit für die menschenrechtlichen Ansprüche ihrer Adressat*innen zu engagieren beabsichtigt, lässt gelegentlich vergessen, dass ihre (beruflichen wie ehrenamtlichen) Tätigkeiten oftmals nicht nur weit hinter ihren eigenen moralischen Ansprüchen zurückbleiben – gelegentlich soweit, dass ihr Anspruch als Menschenrechtsprofession nur noch zynisch erscheint. Sondern verdrängt wird immer wieder auch die Tatsache, dass der Alltag Sozialer Arbeit regelmäßig mit Situationen konfrontiert, in denen moralische Verbindlichkeiten miteinander in Konflikt geraten und sich unvermittelt wie unausweichlich die Frage nach dem moralisch richtigen (weil ethisch gerechtfertigten) Handeln stellt.

Angeregt durch erste Überlegungen und Diskussionen, die die Fachgruppe Ethik der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit in den letzten Jahren bereicherten, versammelt diese Ausgabe des EthikJournal Beiträge, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Akzentuierungen (Verfahrens-) Modelle ethischer Diskussion und Fallbesprechungen in den Handlungskontexten der Sozialen Arbeiten entwerfen und vorstellen.

Editorial

 

 


Fachartikel


Steinkamp 1/2017

Norbert Steinkamp

Die Bedeutung der Zwischentöne
Ethische Fallbesprechung in der Sozialen Arbeit

Zusammenfassung Eine einfache Übertragung beziehungsweise „Anwendung“ von in der klinischen Ethik entwickelter Methodik ethischer Fallbesprechung würde die Gefahr mit sich bringen, Plausibilitäten aus dem einen Bereich hochdifferenzierter institutioneller Praxis in einen anderen Bereich einfach nur zu importieren. Darum empfiehlt es sich, so die Argumentation dieses Beitrags, nach Vergewisserung der dem jeweiligen Praxisfeld eigenen Aufgabenstellungen aus der Gestalt ethischen Nachdenkens und ethischer Argumentation heraus Vorschläge für die ethische Fallbesprechung in der Sozialen Arbeit zu entwickeln. Konzepte der klinischen Ethik stünden dann gleichwohl als eine Art „reality check“ zur Verfügung.In vorliegendem Text werden zunächst, der ursprünglichen Themenstellung dieses Beitrags sowie der langjährigen Praxiserfahrung des Autors geschuldet, einige Eigenheiten klinisch ethischer Fallbesprechung dargestellt. Besonderheiten der Sozialen Arbeit kommen sodann auf dem Wege der Reflexion auf deren Praxis- und Theorieverständnis in den Blick. Anhand eines Beispiels aus der Menschenrechtsarbeit und in Auseinandersetzung mit der Arbeit der Theaterschriftstellerin Naomi Wallace wird die Bedeutung einer Haltung ganzheitlicher Wahrnehmung aufgezeigt, die über die Einschränkungen der Krisenintervention hinaus die lebensgeschichtlichen Nuancen begleiteter Personen erschließen und in die sozialarbeiterische Begleitung zu integrieren hilft.

Schlüsselwörter Ethische Deliberation – Ethikberatung – Ethikkompetenzentwicklung

Artikel


Riedel 1/2017

Annette Riedel

Ethik-Leitlinien als Verfahren der Ethikberatung
Stellenwert und Beitrag zur ethischen Reflexion und Entscheidungsfindung in der Behindertenhilfe


Zusammenfassung Der Beitrag legt den Schwerpunkt auf die Entwicklung und Bedeutsamkeit von Ethik-Leitlinien in der Behindertenhilfe. Den Ausführungen liegt die Überzeugung zugrunde, dass Ethik-Leitlinien – als Element der Ethikberatung (vgl. Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin 2010; vgl. Neitzke/Riedel u.a. 2015 ) – effektive und praktikable Instrumente darstellen, die zu einer nachhaltigen Absicherung und Verbesserung der Versorgungsqualität und der ethischen Entscheidungsqualität beitragen. Im ersten Teil des Beitrags werden Ethik-Leitlinien als anerkannte Verfahren in der Ethikberatung vorgestellt und die geforderten Entwicklungsschritte dargelegt. Der zweite Teil des Beitrags legt den Schwerpunkt darauf, die unterstützende Wirkung und die Bedeutsamkeit der Einführung einer Ethik-Leitlinie in der Behindertenhilfe aufzuzeigen. Konsequent werden hierbei theoretische Fundierung und exemplarische Praxisbezüge kombiniert.

Schlüsselwörter
Ethik-Leitlinien – Ethikberatung – Ethikkompetenzentwicklung

Artikel

 

 


Becka 1/2017

Michelle Becka

Ethikkomitees als ethische Reflexionsräume in Justizvollzugsanstalten

Zusammenfassung Ausgehend von einer Zielbestimmung des Strafvollzugs und seiner unterschiedlichen Fachdienste dient der Artikel einer Klärung der Aufgaben und Ziele von Ethikkomitees in Justizvollzugsanstalten. Dabei zeigt sich, dass diese nur wenig von Ethikkomitees in anderen Kontexten wie Klinik oder Altenpflege abweichen. Im Anschluss werden zentrale Fragestellungen erörtert, an denen sich das Spezifikum ethischer Deliberation im Justizvollzug besonders deutlich zeigt. Das sind: Die Dominanz des Sicherheitsparadigmas, die Frage nach der Beteiligung von Inhaftierten und die Erwartungsüberfrachtung von Ethikkomitees.

Schlüsselwörter Vollzugsziel - Resozialisierung - totale Institution - Ethikkomitee - Organisationsentwicklung - Sicherheit

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Lob-Huedepohl 1/2017

Andreas Lob-Hüdepohl

Erkunden – Rechtfertigen – Gestalten –Organisieren
Das Berliner Modell sozialprofessioneller Ethikberatung B:ERGO

Zusammenfassung In diesem Beitrag wird das Berliner Modell sozialprofessioneller Ethikberatung (B:ERGO) vorgestellt. Ausgangspunkt der Skizze bilden Vorbemerkungen zum moraltheoretischen Rahmen und zu Grundprämissen sozialprofessioneller Ethikberatung, die anhand der Fallvignette Sebastian S. und seines Forschungsprojektes im Rahmen der offenen Straffälligenhilfe erläutert werden. Auf diese Fallvignette wird dann immer wieder Bezug genommen, wenn die wichtigsten (Phasen-) Elemente des B:ERGO vorgestellt werden: Erkunden: Verstehen und begreifen, was der Anstoß ist; Rechtfertigen: Begründen, was das moralisch legitime Ziel ist; Gestalten: Planen, was die rechte Handlung ist; sowie abschließend Organisieren: Strukturieren, was die institutionelle Voraussetzung ist. Dieses Modell wurde im Rahmen langjähriger Hochschullehre wie Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der Sozialen Arbeit entwickelt und erprobt. Gleichwohl bildet es lediglich einen offenen Rahmen, innerhalb dessen konkrete Modelle institutionen- und handlungsfeldspezifisch je neu etabliert werden müssen.

Schlüsselwörter Ethikberatung – ethische Referenztheorien – Ethikkomitees – Fallbesprechungen – moralisches Dilemma – diskursive Begründung – dialogisches Verstehen – beratungsfolgenrelevante Verbindlichkeiten – Ethikorganisation

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  • ISSN 2196-2480