EthikJournal 7. Jg. (2021) Ausgabe 1

"Sozialökologische Transformation - Diskursfelder und Themen für die und in der Sozialen Arbeit"

 

Editorial


Andreas Lob-Hüdepohl/Regina Schwichtenberg

Als zum Sommersemester 1996 in Berlin die erste eigenständige Professur für Ethik in der Sozialen Arbeit besetzt wurde, umfasste die Denomination auch einen Bereich, von dem der Frischberufene – er zeichnet zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin am ICEP, Regina Schwichtenberg, für das vorliegende EthikJournal die konzeptionelle Verantwortung – eine eher nur vage Vorstellung hatte: „Ökotheologie”. Zwar hatte er sich mit seinem Bewerbungsvortrag zum Thema „Alltägliche Lebensstile – eine Problemanzeige für die ökologische Diskussion Sozialer Arbeit in einer Überflussgesellschaft” offensichtlich auch in dieser Hinsicht als ausreichend kundig und qualifiziert erwiesen. Gleichwohl war die aus-drückliche Einbeziehung ökologischer Fragen in das Themenspektrum einer Ethik Sozialer Arbeit doch eher ungewohnt und – wie nicht zuletzt das Stichwort – „Ökotheologie” in der Fachcommunity Sozialer Arbeit noch erklärungsbedürftig. Daran änderte auch nichts die Tatsache, dass mit dem ökosozialen Ansatz von Wolf R. Wendt (ders. 1990) bereits wichtige Impulse für eine ökologisch sensible Soziale Arbeit vorlagen und etwa Silvia Staub-Bernasconi (1989) schon damals den Beginn sozialökologischen Denkens in der Sozialen Arbeit mit dem Wirken von Jane Addams um das Jahr 1900 terminiert hatte.

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Fachartikel


Markus Wissen

An den Grenzen des Kapitalismus
Krise und Transformation aus politisch-ökologischer und intersektionaler Perspektive

Zusammenfassung Die ökologische Krise wird in den vorherrschenden Debatten als globales Problem betrachtet: Die Menschheit ist im Begriff, die planetaren Grenzen zu überschreiten und in ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän, einzutreten. Derartige Diagnosen sind ambivalent. Einerseits zeigen sie den Ernst der Lage und stützen die Forderung nach einer wirksamen Umweltpolitik. Andererseits blenden sie den sozialen Gehalt der Krise aus und können deshalb kaum eine sozial-ökologische Transformation orientieren. Eine intersektionale, d.h. Klasse, Geschlecht, race und Kolonialität in ihren Verschränkungen berücksichtigende Politische Ökologie weist hier einen Ausweg: Sie trägt zu einem sozialwissenschaftlich gehaltvollen Begriff der ökologischen Krise bei und begründet sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit einer Transformation über die Grenzen des Kapitalismus hinaus.
Schlüsselwörter Anthropozän, Infrastruktursozialismus, Intersektionalität, ökologische Krise, Politische Ökologie, Transformation      

Artikel


Davide Brocchi

Die Große Transformation der Stadt
Gelebte Demokratie als Motor sozial-ökologischen Wandels

Zusammenfassung Ausgehend von der These, dass eine große Transformation unmittelbar bevorsteht oder gar bereits im Gang und als solche gestaltbar ist, charakterisiert der Beitrag diese Transformation als einen Demokratisierungsprozess, der einen sytemischen Ansatz erfordert, der die Dimensionen Ökologie, Ökonomie, Soziales, Kultur umfasst. Angesichts der komplexen Herausforderung, die ein solcher systemischer Ansatz unter Einbezug einer globalen Perspektive darstellt, fokussiert der Beitrag die besondere Rolle von Städten für eine sozial-ökologische Transformation. Sie bilden einerseits Ballungsräume, in denen sich alle Dimensionen der Nachhaltigkeit abbilden und ermöglichen gleichzeitig eine stärkere Identifikation ihrer Bürger:innen als übergeordnete Ebenen wie der Staat oder gar die Weltgesellschaft. Vor diesem Hintergrund arbeitet der Beitrag Charakteristika einer nachhaltigen Stadtentwicklung heraus und stellt Ansätze urbaner Transformation vor. Abschließend unterstreicht der Autor, dass eine Transformation aus dem Lokalen heraus als individueller und kollektiver Lernprozess zu verstehen und gestalten ist und lokale Spezifika idealerweise sichtbar und wirksam machen kann.
Schlüsselwörter
Transformation, Nachhaltigkeit, Stadt, Partizipation, Modernisierung, Nachbarschaft, Stadtsoziologie  

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Michelle Becka

Städte in sozialökologischer Verantwortung

Zusammenfassung Immer noch werden soziale Fragen und ökologische Fragen meist getrennt voneinander behandelt. Dieser Beitrag plädiert für die Verschränkung von sozialer und ökologischer, sowie von lokaler und globaler Verantwortung. Das Konzept der Nachhaltigkeit steht exemplarisch für diese doppelte Verschränkung. Konkretisiert wird es am Beispiel der Stadt: Ökologische Transformation und die Stärkung der sozialen Integration stellen sich hier als besondere Herusforderungen dar. Deren gemeinsame Bewältigung verbessert die Lebensbedingungen in der Stadt in verschiedener Hinsicht. Dabei können sich Städte als besondere, eigenständige und innovative, Akteure erweisen, die etwa durch die Vernetzung mit anderen Städten auch überregional politische Transformationsprozessen einleiten und sogar in der Verbundenheit mit Städten weltweit transnationale Solidaritätspotentiale freisetzen können.
Schlüsselwörter Ethik, Stadt, Nachhaltigkeit, Klimawandel, Verantwortung, Solidarität

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Thomas Steinforth

Ethische Anfragen an den Topos einer „sozial-ökologischen Transformation”

Zusammenfassung Eine sozial-ökologische Transformation soll Bedingungen schaffen, damit alle Menschen ein menschenwürdiges Leben innerhalb planetarer Grenzen führen können. Damit sind ethische Fragen aufgeworfen: Worauf genau haben Menschen einen Anspruch, wenn sie ein menschenwürdiges Leben in ökologisch verantwortbarer Weise führen können sollen? Wie können die mit der Transformation einhergehenden Belastungen gerecht verteilt werden? Was bedeutet dies für Sozialpolitik und Soziale Arbeit angesichts der ökologischen Krise? Dass diese Fragen im Beitrag erläutert, aber nicht abschließend beantwortet werden, ist selbst ethisch relevant: Sie müssen im Zuge einer auch prozessoral gerechten Transformation gemeinsam und insbesondere unter Partizipation benachteiligter Menschen beantwortet werden.
Schlüsselwörter Sozial-ökologische Transformation, Menschenwürdiges Leben, Verteilungsgerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Partizipation

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Christiane Bomert

Externalisierung von Sorge in der häuslichen Pflege und sozial-ökologische Transformation: Anknüpfungspunkte und Herausforderungen für die Soziale Arbeit

Zusammenfassung Die Externalisierung von Sorge älterer Menschen an osteuropäische Care-Arbeiterinnen, die in der häuslichen Pflege beschäftigt sind, ist seit etwa 30 Jahren in Deutschland zu beobachten. Der Beitrag nimmt ihre prekären Beschäftigungsverhältnisse und daraus resultierenden Unterstützungsbedarfe zum Ausgangspunkt, um Ansätze eines grundlegenden, sozial-ökologischen Wandels zur Verbesserung des gegenwärtigen Sorgesystems aufzuzeigen. Auf der Grundlage der bestehenden Artikulationsmöglichkeiten der Migrantinnen werden diese Strategien explizit aus der Perspektive der Sozialen Arbeit in den Blick genommen und professionsbezogene Anknüpfungspunkte und Herausforderungen abgeleitet.
Schlüsselwörter Externalisierung von Sorge, Transnationale Care-Arbeit, sozial-ökologischer Wandel, Organisierung, Empowerment

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Matthias Bruckdorfer/Michael David

Sozialpolitische und sozialarbeiterische Anmerkungen zur sozialökologischen gesellschaftlichen Transformation

Zusammenfassung Soziale Arbeit ist bisher oft in einen sozialpolitischen Kontext eingebettet, der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen mit Armutserfahrung wenig achtet. Der Respekt vor den eigenen Handlungsmöglichkeiten, Bedürfnissen und Entwicklungswegen aller Beteiligten ist aber ein wesentlicher Ausweis der Fachlichkeit von Sozialer Arbeit. Eine nachhaltig wirksame Armutsbekämpfung ist nicht möglich, wenn soziale Problemlagen individualisiert und psychologisiert werden. Dies verhindert auch eine ökologisch nachhaltige Ausrichtung von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit. Damit Menschen ökologisch handlungsfähig sind, müssen sie Zugang zu ausreichenden Ressourcen und Entscheidungsmöglichkeiten haben. Diskussionen über die ökologische Lenkungswirkung müssen in den Blick nehmen, dass eine nachhaltigere Ausrichtung von Sozialpolitik unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte erfordert, die eigene Fachlichkeit der Sozialen Arbeit und den damit verbundenen Respekt vor allen Beteiligten zu achten.
Schlüsselwörter Sozialpolitik, Grundsicherung, Anwaltschaftlichkeit Sozialer Arbeit

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  • ISSN 2196-2480