„Der Begriff ‚Inklusion‘ ist widerspenstig, weil […] die Praxis der Inklusion von einer Vielzahl von Widersprüchen geprägt ist“. Mit dieser These hat Sabine Schäper ihren Beitrag im Heft 2/2024 des EthikJournals eröffnet. Sie bringt damit die Überlegungen auf den Punkt, die uns in nunmehr zwei Schwerpunktheften des EthikJournals beschäftigen. Inklusion ist ein Menschenrechtsprinzip. Das gilt auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur in rechtlicher Hinsicht. Inklusion ist auch in ethischer Perspektive ein Imperativ, der die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen und insbesondere die Partizipation von Menschen mit Exklusions- und Marginalisierungserfahrungen zur Geltung bringt. Inklusion ist aber zugleich ein Begriff – und darauf weist Sabine Schäper hin -, der in Theorie und Praxis auf Widersprüche verweist. [...] Das vorliegende Schwerpunktheft schließt an diese kritische Diskussion an und führt sie weiter. Dabei wird eine leichte Schwerpunktverlagerung vorgenommen. Während es vor einem Jahr um die Reflexion von „Inklusion zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ ging, verbinden wir im aktuellen Heft den Blick auf die widerspenstige Praxis von Inklusion stärker mit Orientierungen, wie Inklusion im Wissen um die Konflikte und Dilemmata gestaltet werden kann: „Inklusion: Herausforderungen und Perspektiven“.
EthikJournal 12. Jg. (2025) Ausgabe 2
"Inklusion: Herausforderungen und Perspektiven"
Hier können Sie die gesamte Ausgabe des EthikJournals 2025/2 als PDF herunterladen:
Fachartikel
Ulf Liedke
Um Antwort wird gebeten. Versuch, Inklusion verantwortungsethisch zu denken
Abstract: Der Beitrag reflektiert Dilemmata, die in der Umsetzung des Menschenrechtsprinzips Inklusion erkennbar werden, in der Perspektive einer Verantwortungsethik. Dabei wird ein Verständnis von Verantwortung entwickelt, in dem pflichten-, folgen- und tugendethische Aspekte situationsbezogen zusammengeführt werden. Für die Bearbeitung von Dilemmasituationen ergibt sich die Notwendigkeit einer intensivierten Reflexion mit dem Ziel verbesserter Strategien und Prozesse auf professioneller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene. Dort, wo Inklusion trotz solcher Bemühungen mit exkludierenden Folgen verbunden ist, braucht es eine Unterbrechung der Exklusionsdynamik sowie das Bemühen, partizipativ alternative Strategien und Prozesse zu entwickeln.
Schlüsselwörter: Ethik Sozialer Arbeit – Ethik der Inklusion – Verantwortungsethik – Gesinnungsethik – Pflichtenethik – Folgenethik
Melanie Misamer
Teilhabe und Macht: Wie durch Machtsensibilität Teilhabe gefördert und Ausgrenzung verringert werden kann
Abstract: Der Beitrag betrachtet die Rolle von Macht in Teilhabe- und Ausgrenzungsprozessen innerhalb der Sozialen Arbeit. Macht kann konstruktiv zur Förderung von Teilhabe als auch destruktiv zur Verstärkung von Ausgrenzung angewendet werden. Die Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs mit der Macht wird auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen diskutiert. U. a. neben einem Wissen über machtspezifische und sozialpsychologische Verzerrungseffekte beim Umgang mit Macht, sind insbesondere (berufsethische) Prinzipien bei der Entwicklung einer Machtsensibilität von Bedeutung, um Macht verantwortungsvoll und konstruktiv zu nutzen. Das vorgestellte Handlungskonzept der Machtsensibilität dient als Werkzeug zur Förderung von Teilhabe und zur Vermeidung von Ausgrenzung.
Schlüsselwörter: Machtsensibilität – Teilhabe – Soziale Arbeit – Berufsethik – Ausgrenzung
Johannes Eurich
Organisationale Spannungsfelder und ethische Aspekte inklusiver Organisationsentwicklung
Abstract: Der Aufsatz analysiert Spannungsfelder und ethische Aspekte organisationaler Inklusionsprozesse und grenzt dabei den Fokus auf Organisationen und deren Wirkung auf Teilhabechancen ein. Inklusion wird als menschenrechtsbasierter Prozess verstanden, der auf die gleichberechtigte Partizipation aller abzielt und dabei strukturelle Barrieren sowie Exklusionsrisiken kritisch reflektiert. Neben der Individualebene werden kollektive, organisationale Lern- und Entwicklungsprozesse thematisiert. Besondere Bedeutung erhalten Führungsethik, partizipative Organisationskultur und die Überwindung sozialer Ungleichheiten.
Schlüsselwörter: Inklusion – Organisation – Ethik – Partizipation – Exklusion – Organisationsentwicklung
Diana Schneider
Künstliche Intelligenz: Ein Motor für Inklusion?
Abstract: Seit einigen Jahren findet Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend Anwendung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Auch im Kontext der Teilhabeplanung und Inklusion eröffnen sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Dazu zählen u. a. generative KI, KI-basierte assistive Technologien sowie administrative Systeme, wie etwa KI-gestützte Systeme der Entscheidungsfindung zur Planung von Teilhabeleistungen. Dieser Beitrag konzentriert sich insbesondere auf KI-gestützte assistive Technologien und Anwendungen zur Bewertung von Teilhabeleistungen. Dabei werden sowohl die Chancen als auch die Risiken beleuchtet, um das Potenzial dieser Technologien für die Förderung von Inklusion zu beurteilen.
Schlüsselwörter: Künstliche Intelligenz – assistive Technologien – KI-basierte Systeme der Entscheidungsfindung – Inklusion – Teilhabe
Beate Blank
Inklusion zwischen Empowerment und (Für-)Sorge: Differenz und Interdependenz
Abstract: Die relationalen Prozesse des Ermächtigens und Handelns, Teilhabens und Mitgestaltens, Sorgens und Bewahrens sind interdependent verwoben. Sie werden ermöglicht, behindert oder blockiert durch die ihnen immanenten Machtverhältnisse. Im Erwerb von Handlungsfähigkeit und Handlungsmacht für ein gerechtes und gutes Leben sind wir als soziale und vulnerable Wesen autonom und abhängig zugleich. Eine Mensch und Natur umfassende Ethik der Gerechtigkeit, Gemeinschaftlichkeit und Achtsamkeit ist inklusiv. Praxen der Privilegien- und Machtteilung, des kritisch-reflexiven Zugangs zu Empowerment und Disempowerment beschreiben die Grundlagen einer neuen Professionalität der Antidiskriminierungs- und Ermächtigungsarbeit.
Schlüsselwörter: menschenrechtliche Empowerment – Macht und Ermächtigung – sozialökologischer Care-Begriff – feministische Ethik – Caring and Empowering Community
